Roman Rackwitz, Engaginglab GmbH„Gamification“ lautet das Thema unserer kommenden Veranstaltung in München im September 2014. Mit „Spielifizierung“ versucht sich Wikipedia in einer eher untauglichen Übersetzung und definiert das Phänomen als „die Anwendung spieletypischer Elemente und Prozesse in spielfremdem Kontext“ – Glückwunsch demjenigen, der sich nun schlauer fühlt. Um der Idee – der Phaszination?! – die hinter dem Begriff Gamification steckt nun aber auf die Schliche zu kommen, haben wir – Dank des langjährigen Begleiters und steten Inspirators unseres Netzwerks Tim Ackermann / Parexel – einen der inter- national anerkannten Pioniere der Branche für die Veranstaltung gewinnen können und ihn heute noch einmal gründlich befragt. Danke an dieser Stelle (sehr!) Roman Rackwitz, dass er mit seiner Überzeugung und Leidenschaft für das Thema uns für unsere Basisfragen heute und die Veranstaltung am 18. September zur Verfügung steht.

management meetings: Herr Rackwitz, ich gebe zu, dass ich mir beim ersten Hören des Wortes „Gamification“gedacht habe: „Oh nee, nicht auch noch spielen…!“ Inzwischen bekomme ich eine leise Idee dessen, welche Spannung hinter dieser „Spielerei“ steckt – zumindest (entgegen meiner ersten Vermutung) weder ein irgendwie künstlich aufgeblähtes Bonussystem, noch eine Belegschaft, die ab sofort ‚Mensch ärgere Dich
nicht’ auf dem Unternehmens-CI konformen Brett spielt. Daher helfen Sie uns bitte: was ist Gamification?

Roman Rackwitz: Im eigentlichen Sinne bedeutet Gamification die Aner- kennung und die Erkenntnis, dass der Mensch in einem spielerischen Umfeld sein Potential am effektivsten nutzt.Dabei reden wir hier nicht nur von Videospielen. Kartenspiele, Brettspiele, Spiele wie Räuber & Gendarm, Sport und sogar die klassischen Hobbies wie Briefmarken- sammeln, die Eisenbahn im Keller, Modellbau, und viele können hier angeführt werden. Bei all diesen Aktivitäten gelingt es uns Menschen – wie kaum sonst – fokussiert zu sein, kreativ, problemlösungsorientiert. Wir denken beim Spielen komplex und abstrakt und sind offen gegen- über dem Scheitern. Das Entscheidende ist aber, das wir besonders effektiv lernen. Und nur wer bereit ist Fehler in Kauf zu nehmen und diese offen und konstruktiv zu betrachten, hat auch einen besonders hohen Wirkungsgrad, was den effektiven Lerneffekt anbelangt. Das Fas- zinierendste dabei: Hier gelingt es uns sogar stundenlang bei der Sache zu bleiben – und zwar ohne Erschöpfungserscheinungen. Im Gegenteil: Der Mensch beschreibt solche Situationen, in denen er völlig in seine Tätigkeiten versunken war, im Nachhinein meistens als besonders erfüllend und befriedigend. Eine Aussage, die man sonst nur sehr selten im klassischen Arbeitsumfeld findet.Anstatt diese besonders gute Perfor- mance des Menschen beim Spielen nun als etwas zu sehen, was es zu vermeiden gilt, da es ja nur vom eigentlichen, „seriösen“ Arbeiten abhält, ist es die Aufgabe von Gamification herauszufinden, was all diese fessel- nden und faszinierenden Aktivitäten gemeinsam haben. Mit diesem
Gedanken zerlegen wir unsere Abläufe und Prozesse in Bezug auf Performanceentfaltung in ihre Einzelteile und transferieren die effektiv- sten Elemente im Sinne des ‚Reverse Engineering’ in unseren Wirt- schaftskontext.Unsere Wirtschaft, die immer mehr von der kognitiven Leistung ihrer Teilnehmer abhängig ist, sollte von den Besten lernen. Diesen Leitgedanken setzt Gamification um. Ganz im Sinne des Bench- marking ist dies einfach ein logischer und konsequenter Schritt. Gerade einem Volk wie dem unsrigen, dem ich eine Ingenieurskultur zuschreibe die seinesgleichen in der Welt sucht, kommt dies hundert prozentig entgegen.

management meetings: Sie sprechen in diesem Zusammenhang gar von einem Paradigmenwechsel, den das Unternehmen vollziehen müsse, denn der Mitarbeiter würde sich bei einer stringenten Anwendung von Gamification nicht mehr den Prozessen anpassen, sondern sie gestalten – wie das?

Roman Rackwitz: In einer Industriegesellschaft hing die Leistungs- fähigkeit eines Unternehmens maßgeblich von Maschinen und deren effizientem Einsatz ab. Inzwischen leben wir in einer Wissensgesell- schaft, in welcher der Wirtschaftskreislauf immer stärker von der Perfor- mance seiner einzelnen Individuen bzw. deren kognitiver Leistung ab- hängig ist. Und genau hier bestimmen nun andere Rahmenbedingungen über Erfolg oder Misserfolg. Unternehmen werden langfristig und nach- haltig erfolgreich sein, wenn sie sich zu diesen neuen Gegebenheiten Gedanken machen – und zwar wie folgt: Bisher sind Prozesse in
Unternehmen grundsätzlich aktivitätsorientiert. Das bedeutet, dass nach den Regeln der Effizienz Abläufe und Prozesse vorgegeben sind, denen sich der Mensch anpassen, ja: unterordnen muss. In einer Industrie- gesellschaft macht dies auch Sinn. Diese pure Effizienz der Abläufe und Prozesse nun aber auch in einer Wissensgesellschaft anzuwenden, die sich wiederum hauptsächlich auf die kognitive Leistung des einzelnen Mitarbeiters stützt, ist kaum zeitgemäß und respektiert seine Wissens- leistung nur sehr ungenügend. Daher geht der Gamification-Ansatz weg von einem aktivitätsorientierten Arbeiten hin zum einem humanfoku- ssierten Denken – nicht der Mitarbeiter passt sich den Prozessen an, sondern die Prozesse dem Mitarbeiter. Und da dies einige der aktuellen Managementtechniken, Kontrollmechanismen, Prozessstrukturen, Con- trollingmethoden usw., in Frage stellt, handelt es sich hier um einen ech- ten Paradigmenwechsel.

management meetings: Sie schließen bei einer Unternehmensstruktur, die auf dem Gamification-Gedanken beruht, eine ganze Reihe positiver Effekte für die Belegschaft – welche?

Roman Rackwitz: Der oben genannte Paradigmenwechsel hat zum Ziel, Unternehmen zu schaffen, die human-fokussiert aufgebaut sind. Man kann es auch anders ausdrücken und sagen: Je intuitiver alle Prozesse in einem Unternehmen ausgerichtet sind, desto weniger Probleme ent- stehen durch fehlerhafte Schnittstellen von Mensch-Maschine-Pro- zess. Was meine ich damit? Allein der zweithäufigste Kündigungsgrund in Deutschland lautet: “Ich komm hier irgendwie nicht weiter. Um mich weiterentwickeln zu können muss ich wohl wechseln.” Zudem wollen wir Menschen ständig besser werden. Lernen ist nicht nur eine durch Schule und Eltern erzwungene Aufgabe, sondern auf psychologischer und neurowissenschaftlicher Ebene auch eine der wichtigsten und erfüllenden Aktivitäten, die der Mensch erleben kann. Wir alle kennen das geniale Gefühl des “Aha-Effekts”. Und genau dies ist es, was eine spielerische Umgebung grundsätzlich so genial zu schaffen versteht – kein Spiel ohne ein Problem, für dessen Lösung ich nicht ‘lernen’ muss. Sei es kognitiv, mechanisch oder auf eine andere Weise. Je mehr es mir als Unternehmen gelingt, das Arbeitsumfeld in ein „Spielfeld“ zu verwan- deln, um so eher schaffe ich Möglichkeiten Lerneffekte zu erzielen und wichtige Eigenschaften meiner Mitarbeiter wie Kreativität, Lösungsori- entiertheit oder Teamarbeit zu fördern und weiterzuentwickeln. Als Re- sultat kann ich durch dieses intuitivere Umfeld meine Mitarbeiter besser binden – denn es gibt ständig neue Herausforderungen, ich erhöhe die Bereitschaft kollaborativ statt kompetitiv zu handeln, fördere die Wis- sensteilung und vieles mehr – positiv genug?

management meetings: Klingt sehr gut, aber nun noch einmal konkret: Wie kann das Management generell und HR im Besonderen die Idee von Gamification für sich nutzen? Können Sie uns vielleicht auch noch ein Beispiel anfügen?

Roman Rackwitz: Sie beginnen damit, die bestehenden Prozesse in Ihrem Unternehmen nach dem Vorbild einer spielerischen Umgebung in Augenschein zu nehmen: Ziele, Regeln, Milestones, Echtzeitfeedback, Raum für Manöver, Story, Informationstransparenz, individueller ‘Path to Mastery’ werden so innerhalb einer Aktivität, oder besser noch, innerhalb des gesamten ‘Employee Life Cycle’ etabliert. Prädestiniert sind vor allem solche Aktivitäten, bei denen man die folgenden drei Fragen mit “Ja!” beantworten kann:

1. Sind sie erlernbar?
2. Sind sie messbar?
3. Kann Echtzeitfeedback gegeben werden?

Wird eine Frage mit “Nein” beantwortet, so empfiehlt sich die Kombination mit den Strukturen sog. Serious Games oder dem Ansatz des sog. Game-based-Learning bzw. Simulationen. Durchaus können jedoch auch Strukturen so verändert werden, dass alle drei Fragen mit “Ja!” zu beantwortet sind.
Und ein Beispiel: Im Personalmanagement kann ein sog. “Serious Game” dazu genutzt werden, um Kandidaten mit geeignetem Wissen oder mit bestimmten Fähigkeiten zu finden. Mit Hilfe eines gamifizierten Ansatzes hilft man ihnen dann beim ‘Onboarding’, der persönlichen Weiterentwicklung, der Kollaboration mit Kollegen, dem Wissensmanagement, usw.. Simulationen und Game-based-learning wiederum unterstützen bei der Vermittlung von bestehendem Wissen.
Grundsätzlich kommt es auf die Herausforderungen der jeweiligen Situ- ation an und auch den Möglichkeiten und der Bereitschaft, die sich durch die Unternehmenskultur ergibt.
In diesem Zusammenhang ist mir eines wichtig zu erwähnen:
So sehr ich persönlich von dem Potential unserer menschlichen Verbundenheit mit dem ‘Spiel’ auch fasziniert bin, ist es natürlich kein Allheilmittel für alle demotivierten und verärgerten Mit- arbeiter, auch wenn das gerne behauptet wird. Mit einer einfachen Punkte, Badges oder Ranglisten Software ist es hier nicht getan. Im Ge- genteil, man kommuniziert damit die völlig falschen ‘Regeln’. Wenn Ga- mification richtig angewendet wird, dann merken Ihre Mitarbeiter nicht, dass sie „spielen“. Dennoch fühlen sie sich motiviert, fokussiert, heraus- gefordert – und das ist der Trick dabei. Die technologische Entwicklung wird zudem den gamifizierten Ansatz immer weiter fördern. Denken Sie beispielsweise an die Google Brillen, die über kurz oder lang unser Leben beeinflussen werden. Diese Technologien werden genauso Ein- zug in die Unternehmensstrukturen erhalten wie das Telefon, Fax oder das Internet. Vor allen bereiten sie uns den Weg für ein weiteres,
anderes Kommunikationsverhalten und bilden die Voraussetzung dafür, miteinander in Verbindung zu treten – tendenziell spielerisch.

management meetings: Vielen Dank, Herr Rackwitz. Mehr erfahren wir dann am 18. September …

Roman Rackwitz, CEO und Gründer, Engaginglab GmbH:

Roman Rackwitz ist einer der Gamification Pioniere in Deutschland. Sein Unternehmen Engaginglab gründete er als erste Gamification Agentur im deutschsprachigen Raum. Roman Rackwitz selbst wurde zu einem der Top 10 Gamification Experten weltweit gekürt. Für den Bereich Gamification gründete er die erste Konferenzreihe in Deutschland und die erste weltweite Vereinigung. Darüber hinaus ist er als Dozent an der Munich Business School tätig. Roman Rackwitz studierte International Business Administration an der University of Sunderland / UK und Internationales Management und Marketing an der European Business College in München.In seinem Impuls wird Roman Rackwitz überwiegend auf Ideen und Nutzen für die Anwendung von Gamification für das Personalmanagement eingehen.

Und hier noch ein Beispiel der Marriott Hotels, das auf spielerische Weise Jobs ebenso vorstellt wie Potenzialeinschätzungen möglich macht: https://www.youtube.com/watch?v=ULOwlkiRM18